Im Rahmen kunstgeschichtlicher Forschungen werden immer wieder neue Geheimnisse aufgedeckt. Dabei handelt es sich um übermalte Details, verschlüsselte Symbole, revolutionäre Arbeitsweisen oder sogar zuvor unbekannte Details aus dem Leben des Künstlers oder der Künstlerin selbst. Hierbei ist natürlich noch ganz zu schweigen von den zahllosen Theorien und Legenden, die sich um so manches Werk ranken.
Technologische Fortschritte haben immer wieder neue Erkenntnisse erbracht. In den letzten Jahren hat besonders die Untersuchung von Gemälden mit dem Röntgengerät neue Einsichten in die Kunst erlaubt; darunter natürlich auch Werke großer Meister, wie schon an einigen ausgewählten Beispielen ersichtlich:
(1) Künstler: Jan van Eyck
Das Meisterwerk des mittelalterlichen Malers Jan van Eyck, der Genter Altar, enthält eines der wohl bekanntesten „Geheimnisse“, die zuvor unter einer Schicht Farbe verborgen waren. Das zentrale Panel des Altarbilds, auch bekannt als Anbetung des Lammes, zeigt ein mystisches Lamm als Symbol Christus, dessen Kopf mindestens einmal überarbeitet wurde – um „mystischer“ zu erscheinen hatte es beispielsweise die Augen vorne im Schädel (wie bei einem Menschen, nicht bei einem Tier). Dies wurde jedoch später mit einem „normalen“ Schafskopf übermalt.
(2) Berufsgeheimnis
Viele haben sich schon gefragt, woher der plötzliche Stilwechsel zur realistischen Darstellung in Van Eycks Werken kommt. Zeitgenössische Theorien gehen u.a. von der Verwendung von Linsen und gebogenen Spiegeln aus, die ein leichtes Kopieren des Bildes auf den Malgrund möglich machen. Ein solcher Spiegel findet sich beispielsweise im Hintergrund von Van Eycks „Arnolfini Hochzeit“. Obwohl diese Theorie von vielen abgelehnt wird mit der Begründung, eine Erfindung der Renaissance zu sein, ist davon auszugehen, dass solche Praktiken zu Lebzeiten des Künstlers bereits weit verbreitet waren, aber eher geheim gehalten wurden — als Berufsgeheimnis.
(3) Künstler: Michelangelo
Michelangelo Buonarroti, nach eigener Aussage „Bildhauer, nicht Maler“ der Renaissance, gab der Kunstgeschichte mit seinen berühmten Fresken in der Sixtinischen Kapelle gleich mehrere Geheimnisse zu entdecken. Da dir Werke teils so weit oben lag, dass man Genaueres wohl kaum erkennen konnte, erlaubte sich der Künstler einige nicht so subtile Details einzubauen.
Mittlerweile weithin bekannt ist, dass seine Darstellung von Gott in der Erschaffung Adams mit seiner umgebenden Wolke aus Engeln sehr dem Querschnitt eines Gehirns ähnelt. Da die Zeit der Renaissance auch eine Zeit anatomischer Forschung war, gehen viele davon aus, dass das Bild mit voller Absicht so gestaltet wurde – auch wenn über die Deutung im Zusammenhang noch diskutiert wird.
In einem anderen Gemälde der Kapelle ist Papst Julius II. als Prophet Zacharias mit zwei Engeln zu sehen, obwohl Michelangelo ihn bekanntermaßen nicht leiden konnte. Bei genauerem Hinsehen entdeckte man jedoch, dass einer der Engeln eine vulgäre Handgeste (bekannt als „die Feige“) in Richtung des Papstes hält, die heute wohl mit dem Mittelfinger vergleichbar wäre.
Verwunderlich ist es daher nicht, dass die Figur im Wandfresko Das Jüngste Gericht, die man als Julius II. interpretiert, in der Hölle leiden muss.
Dieses Fresko war lange auch ein übermaltes Kunstwerk: Michelangelo malte sämtliche Figuren damals vollkommen nackt – was bei vielen Zeitgenossen überhaupt nicht gut ankam. Noch zu seinen Lebzeiten wurde Daniele da Volterra beauftragt, wenigstens ein Minimum an Kleidung hinzuzufügen, was ihm sogleich den Spitznamen „braghettone“ („Höschenmaler“) einbrachte. Erst bei der letzten Restaurierung bemühte man sich, es in seinen Originalzustand zurückzuversetzen — Eine wortwörtliche „Enthüllung“, bei der auch deutlich hellere Farben zum Vorschein kamen.
(4) Künstler: Rembrandt
Gleichermaßen von einem solchen Farbwechsel betroffen ist auch Rembrandt Van Rijns Nachtwache. Das Gemälde stellt eine der Schützengilden von Amsterdam dar, die jedoch nicht zur Nachtzeit patrouilliert. Zusätzliche Verschmutzung führte über die Jahre dazu, dass aus dem ohnehin dunklen Gemälde eine Nachtszene wurde, sodass das Werk trotz der Dunkelheit also eigentlich eher „Tagwache“ heißen müsste.
Bei genauere Untersuchungen mit modernster Technik kam zudem eine Skizze unter dem Gemälde zum Vorschein, die später übermalt wurde. Dies belegt einige diesbezügliche Theorien, für die bis vor kurzem noch ein Beweis fehlte. Unter Rembrandts Werken ist es jedoch nicht das einzige übermalte; auch sein Porträt eines Mannes verbirgt ein unfertiges Gemälde unter seinen Farbschichten.
(5) Künstler: Van Gogh
Natürlich lassen sich einige „Geheimnisse“ auch mit bloßem Auge erkennen, wenn man weiß, was man gerade betrachtet. Das „Gehirn“ in Michelangelos Letztes Gericht ist dabei nicht das einzige prominente Beispiel, wenn auch vielleicht das berühmteste. Van Goghs Sternennacht beispielsweise stellt laut Forschern das Prinzip der turbulenten Strömung dar. Dieses physikalische Prinzip beschreibt die zufälligen, verschieden großen und schnellen Verwirbelungen bei der Bewegung von Fluiden und bisher als ungelöstes wissenschaftliches Problem, jedoch kommt das Gemälde den bisherigen Modellen dazu unwahrscheinlich nahe.
Wie bei den meisten Künstler*innen gibt es auch bei Van Gogh übermalte Gemälde – vor allem bei Van Gogh, sollte man sagen. Leinwände waren teuer und das Geld oft knapp, daher übermalte der Künstler einige Bilder seiner Studienzeit später mit Stilleben und Landschaften. Auch spätere Gemälde wurden übermalt: Unter seinem Grasgrond kam ein dunkles Frauenportrait zum Vorschein und unter der Schlucht versteckte sich Wilde Vegetation.
(6) Berufsgeheimnis
Van Gogh genoss seinerzeit die Vorzüge der Industriellen Revolution: Chemische Forschungen bescherten der Kunstwelt damals um die 20 neue Pigmente, denen u.a. auch die leuchtenden Farben von Van Goghs Werken zu verdanken sind. Bedauerlicherweise bestand das damalige Sortiment zu einem großen Teil aus giftigen Farben, die Stoffe wie Blei, Arsen oder Quecksilber enthielten, und entsprechend ihrer Wirkung zeitgleich auch als Insektizide verkauft wurden. Heutige Forscher halten eine Mitschuld der Farben an Van Goghs schlechtem gesundheitlichen Zustand nicht für unwahrscheinlich.
(7) Künstler: Leonardo da Vinci
Auch Renaissance Künstler Leonardo da Vinci zählt, vielleicht mehr als alle anderen, zu jenen, deren Bilder der Kunstwelt noch Geheimnisse aufgeben. Untersuchungen seiner Dame mit Hermelin zeigten drei verschiedene Versionen des Gemäldes: eine ohne Hermelin, eine mit Hermelin mit grauem Fell und die letztendlich mit weißem Fell. Das Tier wurde also später zum Portrait hinzugefügt und wäre somit nur das „Portrait einer Dame“ gewesen.
Bedeutend häufiger als tatsächliche Funde sind bei Leonardos Werken allerdings die Spekulationen und Theorien, die sich sie ranken. So wurden beispielsweise aus der Positionierung bestimmter Elemente in seinem Letzten Abendmahl die Noten für eine melancholische Melodie herausgelesen, aber kein anderes Werk war Gegenstand von mehr Gerüchten und Verschwörungstheorien als seine Mona Lisa. Viele haben schon versucht, dem Portrait Geheimnisse wie etwa den Grund ihres „kryptischen“ Lächelns oder ihrer fehlenden Augenbrauen zu entlocken, allerdings dürften hier die meisten Spekulationen wohl kaum in den Bereich kunsthistorische Forschung fallen.
Historisch relevanter ist da die Entdeckung einer „zweiten“ Mona Lisa, die ebenfalls aus Leonardos Hand stammen und auch älter als das „Original“ aus dem Louvre sein soll. Das Werk blieb bis 2012 fast unbekannt, da es die meiste Zeit in Privatsammlungen verbrachte und kaum ausgestellt wurde. Es wird noch diskutiert, inwiefern die Mona Lisa als solches nun neu betrachtet werden muss.
(8) Künstler: Caravaggio
Etwas weniger theoretisch ist da Michelangelo Merisi da Caravaggios „Geheimnis“. Der Maler, wohlbekannt für seine atmosphärischen Gemälde, schuf ca. 1595 den Lautenspieler in zweifacher Ausführung. Die Figur, die im Zentrum beider Gemälde steht, wurde lange Zeit als weiblich interpretiert. Dies ging so weit, dass das Gemälde in Russland (wo es seit langem in der Eremitage in St. Petersburg ausgestellt ist) als „Lyutanistka“, das „Lautenspielermädchen“, bekannt wurde.
Obwohl viele das Geschlecht der Figur noch immer als unbekannt betrachten, ist es mittlerweile weitgehend anerkannt, dass es sich dabei um einen jungen Mann handelt. Kunsthistoriker belegen dies u.a. mit der sichtbar flachen Brust der Figur, sowie sehr ähnliche Darstellungen für die Caravaggios junger Freund Mario Minniti Modell saß, darunter Knabe mit Fruchtkorb und Jüngling von einer Eidechse gebissen.
(9) Berufsgeheimnis
Die Nutzung einer camera obscura in barocken Gemälden ist mittlerweile weithin bekannt. Kunstschaffende nutzen dabei einen abgedunkelten Raum um mithilfe einer kleinen Öffnung oder Linse das Bildmotiv auf ihre Leinwand zu übertragen.
Forschungen haben allerdings ergeben, dass in Caravaggios Gemälden lichtempfindliche Materialien verwendet wurden. Man geht davon aus, dass mithilfe einer Mischung aus weißer Farbe und Glühwürmchen-Pulver eine kurzlebige Kopie angefertigt werden konnte, die im Dunkeln zu sehen war und dann zu einer sichtbaren Skizze übertragen wurde — eine Art Ur-Fotografie.
(10) Künstler Vermeer
Auch in einem Werk des Malers Jan Vermeer van Delft fand sich ein gut verstecktes „Geheimnis“ — Ein Detail, versteckt unter mehreren Schichten Farbe. Sein Werk Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster zeigte ursprünglich noch das Bildnis eines nackten Amors im Hintergrund, was die Interpretation der Szene sehr viel eindeutiger gemacht hätte. So las das Mädchen ursprünglich klar einen Liebesbrief, während sie in der letztendlichen Fassung das „emotionale Equivalent einer Steuererklärung“ lesen könnte. Bisher wurden die kargen Wände im Vermeers Gemälden oft als Bild der Keuschheit gedeutet; etwas, das die nachträgliche Änderung nun widerlegt.
Kunstgeschichtliche Forschung in den nächsten Jahren im Blickpunkt
Diese Erkenntnisse sind erst ein kleiner Teil dessen, was man Kunstwerken mittlerweile mithilfe modernster Technik entlocken kann. Ständiger technischer Fortschritt bringt auch immer neue Untersuchungsmethoden und -geräte, die wiederum zuvor unbekannte Geheimnisse aufdecken.
Auch die jetzigen Forschungsmethoden sind noch lange nicht in vollem Umfang ausgenutzt. Viele bekannte Gemälde gilt es noch zu untersuchen — So wird gerade beispielsweise in Frankfurt noch Rembrandts Blindung des Simson mittels Röntgenanalyse untersucht.
Kunstgeschichtliche Forschung ist also etwas, auf das es sich in den nächsten Jahren auf jeden Fall lohnt, ein Auge zu haben.
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